Ovid hätte seine Freude...


erweiterter Beitrag aus dem Programmheft von

Persephone

Raub der Proserpina
Girardon, Francois, 1677-90: Persephone (Proserpina), Hades (Pluto), Cyane



Musical


von


Jens Uhlenhoff

Jens Uhlenhoff
Der junge Emmendinger Komponist Jens Uhlenhoff; Foto: Sylvia-Karina Jahn

nach Worten von


Ovid

Ovid: M. Merian, 1619
Matthaeus Merian, 1619: Ovidius Naso (43 a. - 17 p. Chr.








Ovid hätte seine Freude…



„Tenerorum lusor amorum“ – „Dichter, der mit zärtlichen Liebesthemen spielerisch umgeht“,
nennt sich Ovid einmal selbst. Der römische Poet (43 vor - 17 nach Chr.) war noch keine zwanzig Jahre alt, als er in 50 einfühlsamen bis hin zu frechen Liebeselegien (Amores) einer fiktiven Freundin Corinna ein literarisches Denkmal setzte. Seit der Antike oft heimlich, aber immer gern gelesen ist sein zeitloses galant-erotisches Meisterwerk, die „ars amatoria“ (Liebeskunst). Hier gibt er jungen Römerinnen und Römern Ratschläge, was sie selbst tun oder an sich ändern müssten, wenn ihre Liebe Erfüllung finden soll.

In seinem dichterischen Hauptwerk, den „Metamorphosen“, zeigt Ovid, welche Mächte seit Urbeginn bis hinein in seine augusteische Zeit die Welt in ihrer Entwicklung immer wieder verändert vorangebracht haben: Eros und Dynamis, „amor“ und „vis“, Liebe und Gewalt, bis hin zu „sex and crime“, wie es auf neudeutsch heißt. Denn nicht erst seit Darwin weiß die Menschheit, dass Veränderung (griechisch: Metamorphose, lateinisch: Mutation) das einzig Beständige im Leben ist.

Eingearbeitet in die 12.000 Verse dieser „Metamorphosen“ hat Ovid Hunderte von Mythen, die er gewissermaßen als „Rohdiamanten“ von griechischen Autoren übernahm. Der römische Dichter ergänzte und bearbeitete sie originell, oft spielerisch, aber immer gekonnt zu strahlenden Brillanten. Doch dabei beließ er es nicht. Indem Ovid diese Brillanten fasst und sie geschickt in eine stringent gegliederte, funkelnde, kostbare Gesamtarbeit komponiert, gleicht letztlich das Gesamtwerk (in 15 Büchern) einem kostbaren Collier. Unzählige Maler, Bildhauer, Literaten und Komponisten haben sich seither von der Kraft und Schönheit der Metamorphosen inspirieren lassen. Sie griffen Ovid’sche Themen auf und schufen mit ihrem Esprit und ihrem Können neue Kunstwerke.

Genau zweitausend Jahre nach Erscheinen der Metamorphosen hatte es dem jungen Emmendinger Komponisten Jens Uhlenhoff ein besonders facettenreicher Ovidscher Brillant angetan: Die Persephone (lat. Proserpina)-Geschichte. Er tat ähnliches wie Ovid. Er griff das Thema auf, umspielte es mit seinen Ideen und verwandelte den uralten Mythos mit ergänzenden Texten und vor allem seiner Musik zu einem neuen Kunstwerk. Im 5. Buch von Ovids Metamorphosen begegnen wir dieser Erzählung, in der die Götter natürlich lateinische Namen tragen. Im Musical entschied sich der Autor für griechischen Namen der Olympier.

Anlässlich eines Gesangswettstreites zwischen den Musen und neun Königstöchtern stellt Ovid eine Sängerin vor: „Mit dem Efeu die gelösten Haare umkränzt erhebt sich Kalliope und prüft mit dem Daumen die klagenden Seiten. Dann beginnt sie ihr Lied und schlägt die Laute dazu.“ Kalliope trägt also singend die Geschichte vor. Wenn das keine Einladung ist, darüber einmal ein Musical zu schreiben!

Und hier ist die Geschichte:

Seit alters verehrt man auf Sizilien die Göttin des Ackerbaus und der Feldfrüchte Ceres (Demeter) und ihre Tochter Proserpina (Persephone), die sich auch gern auf der Insel aufhalten. Einmal, nach einem Erdbeben, begibt sich Pluto (Hades), Regent über die schaurige und öde Unterwelt nach oben, um entstandene Erdrisse zu schließen. Ihn erblickt die Liebesgöttin Venus, während sie mit ihrem Sohn Amor spielt. Sie fordert den geflügelten Frechdachs auf, die Chance wahrzunehmen und seinen Machtbereich jetzt endlich auch auf die Unterwelt auszudehnen. Außerdem würde, wenn nicht endlich ein Liebhaber käme, Proserpina Jungfrau bleiben, was sie als Göttin der Liebe nicht ertragen könnte. Gesagt, getan. Amor schießt den allerspitzesten und unfehlbarsten seiner lautlosen Pfeile dem Pluto mitten ins Herz.

Zur gleichen Zeit sammelt Proserpina mit ihren Gespielinnen an einem mitten in Sizilien gelegenen See Blumen. Was dann passiert, geht sehr schnell. Ovid braucht dafür gerade mal einen Vers: Pluto sieht, begehrt und raubt sie. In rasender Fahrt treibt er sein Vierergespann über die Insel. Eine Freundin der Proserpina, die Nymphe Cyane, stellt sich mutig in den Weg. Sie versucht den Räuber von seinem Vorhaben abzubringen. Er solle um sie werben und nicht so gewaltsam vorgehen. Doch Pluto ist nicht mehr zu halten. Er fährt Cyane einfach um und entführt Proserpina in die Unterwelt. Vor Trauer löst sich Cyane in der Quelle auf, deren Göttin sie bislang war.

Nun sucht Ceres (Demeter) Tag und Nacht ihre Tochter. In der Cyanequelle findet die Mutter den (Keuschheits-)Gürtel, den Proserpina bei der rasenden Höllenfahrt verloren hatte. Aus Trauer vernachlässigt sie ihre göttlichen Pflichten, sodass auf der Erde nichts mehr wächst und reift.

Von Arethusa, sie ist Beschützerin einer gleichnamigen Quelle in Syrakus, erfährt Ceres, dass Proserpina (Persephone) in der Unterwelt sei. Sie, Arethusa, sei ursprünglich eine Quelle im griechischen Elis gewesen. Auf der Flucht vor dem lüsternen Flussgott Alpheus sei sie von dort in die Unterwelt abgetaucht und habe Proserpina dort gesehen. Hernach sei sie bei Syrakus wieder aufgetaucht.

Ceres ist empört. Sie wendet sich an Jupiter (Zeus), den Vater der Proserpina, und macht ihm schwere Vorwürfe, dass er das zugelassen habe. Der Göttervater verspricht Hilfe: die gemeinsame Tochter könne in den Olymp zurückkehren, falls sie in der Unterwelt noch keine Speisen zu sich genommen habe. Ansonsten müsse sie dort bleiben. Das sei ein unumstößliches Gesetz der Parzen (Moiren), dem auch die Götter sich zu fügen hätten.

Nun hatte aber Proserpina zwar nur wenige Kerne eines Granatapfels zu sich genommen. Das aber hatte ein gewisser Ascalaphus beobachtet, es ausposaunt und ihr so die Rückkehr zur Mutter vereitelt. Dafür musste der geschwätzige Ascalaphus die Metamorphose in einen Uhu erleiden. Durch Jupiters Vermittlung wurde letztlich erreicht, dass sich Proserpina (wie Ovid es darstellt) ein halbes Jahr bei ihrer Mutter in der Oberwelt und die andere Hälfte bei ihrem Gatten Pluto aufhalten soll. Zwar war nun der ewige Frühling auf Erden vorbei, weil es jetzt Jahreszeiten gab. Doch erklärte Ceres sich letztlich mit diesem Kompromiss einverstanden. Anlässlich Proserpinas jährlicher Wiederkehr in die Oberwelt wurde fortan ein Frühlingsfest gefeiert.

Säße Ovid heute unter den Zuschauern bzw. Zuhörern dieses Musicals, er hätte seine Freude daran, wie der ehemalige Schüler des Goethe-Gymnasiums und junge Emmendinger Kulturpreisträger Jens Uhlenhoff den überlieferten Mythos originell und gekonnt weiter verwandelt hat.

Hans-Jürgen Günther


Ovid: M. Merian, 1619
Schlussszene aus Jens Uhlenhoffs Musical "Persephone"; Foto: Hans-Jürgen Günther, 14. Februar 2009






Bei der


Welturaufführung des Musicals
am 14. Februar 2009 in Emmendingen


und vier weiteren Vorstellungen
wirkten mit:

Jems Uhlenhoff
Solisten
Solisten
Solisten
Solisten



Musikalische Betreuung und Leitung:


Ansgar Merk
Joachim Müller
Berthold Braitsch
Elisabeth Engelken




Einstudierung Ballett und Tanz:


Ilse Rauer
Irmgard Staubach-Schönberger




Regie:


Anette Huber




zurück zur Persephone (Proserpina) - Geschichte, Ov. Met. V, 340
(Wegen der vielen Bilder auf dieser Ovidseite dauert das Öffnen ca. 1 Minute.)


Text und Gestaltung: Hans-Jürgen Günther - 2009

Zurück zur Hauptseite