Ring des Gyges
Ring des Gyges

Cicero

Die Versuchung des Gyges (Cicero, de officiis, III, 38 )

(38) Und es ist auch bei jeder Überlegung die Hoffnung und Erwartung fernzuhalten, (etwas) zu verhehlen und zu verheimlichen.
Wir müssen nämlich, wenn wir nur irgendeinen Fortschritt in der Philosophie gemacht haben, überzeugt sein, dass wir, auch wenn wir es vor allen Göttern und Menschen verheimlichen könnten, doch nichts in habsüchtiger, ungerechter, willkürlicher, und unkontrollierter Weise tun dürfen.

Hier wird jener Gyges von Platon vor Augen geführt, der, als sich die Erde bei sehr starken Regengüssen aufgetan hatte, in jenen Erdschlund hinabstieg und, wie es die Sagen überliefern, ein ehernes Pferd bemerkte, an dessen Seiten sich eine Tür befand.
Er öffnete sie und sah den Leichnam eines Mannes von nie gesehener Größe mit einem goldenen Ring am Finger. Sobald er diesen abgezogen hatte, streifte er ihn sich selbst an. Dann begab er sich wieder in die Versammlung der Hirten.
Sooft er dort die Fassung des Ringes zur Handfläche hin gedreht hatte, wurde er von niemandem gesehen, er selbst aber sah alles. Andererseits wurde er wieder sichtbar, sooft er den Ring in die Ausgangsstellung gedreht hatte.
Und so machte er sich diesen Vorteil des Ringes zunutze, verführte die Königin - er war Hirte des Königs - und tötete mit ihrer Hilfe seinen König und Herrn. Er beseitigte die, von denen er glaubte, sie stünden ihm im Wege, und bei diesen Untaten konnte ihn niemand sehen.
So erhob er sich vermöge dieses Ringes unerwartet zum König von Lydien.

Wenn nun ein Weiser diesen Ring haben sollte, dann müßte er glauben, es stehe ihm keineswegs eine größere Freiheit zu, Verfehlungen zu begehen, als dann, wenn er ihn nicht hätte. Denn das Anständige wird von Männern mit guter Gesinnung gesucht, nicht aber die Verschleierung (Verborgenheit).

Übersetzung: Hans-Jürgen Günther




Cicero (latein)


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Hans-Jürgen Günther

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